16. Januar 2025
USA-Korrespondentin Doris Simon

„Es gibt in den USA einen zunehmenden Vertrauensverlust in die Medien“

Wie lebt und berichtet eine deutsche Korrespondentin in den Vereinigten Staaten? Doris Simon, US-Korrespondentin für den Deutschlandfunk, gibt Einblicke in die Medienlandschaft der USA. Sie spricht über den Vertrauensverlust in traditionelle Medien, den Einfluss sozialer Netzwerke und ihre Eindrücke aus dem ländlichen Amerika. Ein Gespräch über journalistische Herausforderungen in einer gespaltenen Gesellschaft.

Interview von Selina Bergmann und Eva Umschlag

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Werksgelände: Frau Simon, Sie sind USA-Korrespondentin beim Deutschlandradio und berichten für die drei Hörfunksender Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova aus den Vereinigten Staaten. Sie haben Ihr Büro in Washington.

Doris Simon: Ich arbeite für die drei Programme vom Deutschlandfunk in Washington und berichte über die USA. Dafür bin ich nicht nur in Washington, sondern regelmäßig im ganzen Land unterwegs. Vor allem, wenn man in diesen zugespitzten Zeiten von einer gespaltenen Gesellschaft berichten will, muss man beispielsweise auch ländlichere Gebiete besuchen, denn dort sitzt die andere Hälfte der USA.

Sie verfolgen in Ihrem Beruf auch die Medienlandschaft in den USA. Wie würden Sie diese beschreiben, auch im Vergleich zu Deutschland?

Ein großer Unterschied ist, dass es keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Fernsehen und Hörfunk sind in den USA entweder kommerziell oder auf Spenden von Nutzer:innen, Hörer:innen und Zuschauer:innen angewiesen. Beispielsweise lebt das National Public Radio (NPR) und der dazugehörige Fernsehkanal Public Broadcasting Service (PBS) von Spenden. Sender wie ABC, NBC, CBS oder die Kabelkanäle Fox und CNN sind Wirtschaftsunternehmen. In der Zeitungslandschaft hingegen gibt es ein großes Aussterben der Regional- und Lokalzeitungen. Lokalzeitungen bestehen oft nur noch aus ein, zwei Seiten mit Bildern von Football- oder High-School-Basketballmannschaften und Todesanzeigen. An manchen Stellen gibt es auch überhaupt keine lokale Printberichterstattung mehr. Teilweise gibt es Online-News-Seiten oder lokales Fernsehen und in einigen Staaten spendenfinanzierten Journalismus.

Können die Lokalzeitungen denn nicht mit digitalen Angeboten überleben?

Ich war vor kurzem bei einer kleinen Lokalzeitung in West Virginia, dem Moorefield Examiner, die sehr geringe finanzielle Ressourcen hat. Alle Mitarbeiter:innen haben noch Zweitjobs, um sich finanzieren zu können. Die Zeitung hat natürlich kein Geld, um digitale Angebote zur Verfügung zu stellen. Eine andere Lokalzeitung, die eher so aufgebaut ist wie Lokalzeitungen in Deutschland, hat eine Facebook-Page, die rund um die Uhr bedient wird und auch überlebenswichtig für diese Zeitung ist. Die Lokalzeitung hat ebenso eine Onlineausgabe mit Bezahlschranke – Erfolg kann man ohne nicht mehr haben.

Das klingt alles recht düster.

Mich hat die Lokalzeitung „Moorefield Examiner“ in West Virginia sehr beeindruckt. West Virginia ist nur circa drei Stunden von Washington entfernt, aber in den USA herrscht auf dem Land generell ein ganz anderes Leben als in der Stadt. Auch im Vergleich mit dem ländlichen Leben in Deutschland, wo es eine allumfassende Versorgung gibt. In den USA muss man manchmal 30 Meilen beziehungsweise 45 Kilometer bis zum nächsten Supermarkt fahren. Ebenso ist es üblich, dass man zwei Stunden fahren muss, um ein Krankenhaus zu erreichen oder dass Menschen sterben, weil sie so lange auf den Rettungswagen warten müssen. Der Begriff „Land“ ist in den USA definitiv ein anderer. Und in diesem Kontext die Lokalzeitung in Moorefield, West Virgina zu erleben, die es seit circa 130 Jahren gibt und deren Besitzerin die letzte ihrer Generation ist, die nebenbei noch einen anderen Job hat, um diese Zeitung mit ihren ungefähr 2.000 Exemplaren irgendwie am Leben zu halten. Das war beeindruckend.

Man kann es nicht anders sagen: Fox News ist ein konservatives bis rechtes Medium.

- Doris Simon

Nutzen die Menschen in den USA denn überhaupt noch die klassischen, traditionellen Medien?

Insgesamt informieren sich heutzutage weitaus mehr Menschen in den USA nicht mehr über traditionelle Medien, sondern über soziale Netzwerke. Für mich als Journalistin sind das keine Medien. Aber ich würde sagen, der größere Teil der Bevölkerung informiert sich so – egal ob alt oder jung.

Welche Rolle spielen denn dann unabhängige Medien in den USA und wie behaupten sie sich in dem wirtschaftlich geprägten Umfeld?

Die Programme NPR und PBS laufen spendenfinanziert von Groß- und Kleinspenden. Diese Sender sind unabhängig und haben eine klare politische Tendenz nach links. Darüber hinaus fällt mir auf, dass deren Publikationen verstärkt versuchen, lokale Themen aufzugreifen. Insbesondere Themen, die von kommerziellen Medien nicht aufgegriffen werden, wie Reportagen über sozial relevante Geschichten und gesellschaftliche Probleme. Daneben gibt es noch an Universitäten Zeitungen, die aber über den universitären Kontext hinaus zumeist keine Auswirkung haben. Als Ausnahme fällt mir die Harvard Crimson ein. Die Publikationen von den Harvard-Studierenden im Kontext der Anti-Israel-Proteste haben in diesem Jahr nationales Interesse erlangt.

Wie erleben Sie die Rolle und den Einfluss der klassischen Medien auf die Politik?

Ich habe einige Medien genannt, die eher nach links tendieren. Fox News hingegen ist die Stimme von Donald Trump. Man kann es nicht anders sagen: Fox News ist ein konservatives bis rechtes Medium. Der Sender besteht aus konservativen Journalist*innen und vielen Show-Hosts, die Parteigänger:innen von Trump sind, wie beispielsweise Laura Ingraham oder Sean Hannity. Das Medium wird überwiegend von Rentner:innen und eher nicht von jungen Leuten geschaut. Auf der anderen Seite haben wir die Kabelkanäle. MSNBC ist links und steht den Demokraten nahe. CNN versucht, in der Mitte zu stehen, aber sie werden von vielen nach wie vor als den Demokraten nahestehend wahrgenommen. Bei den Zeitungen hat es in der letzten Zeit einen Aufruhr gegeben, nachdem die Washington Post und die Los Angeles Times dieses Jahr auf das traditionelle Endorsement verzichtet haben. Das Endorsement ist etwas typisch Amerikanisches. Dabei beziehen Zeitungen, vor allem Lokal- und Regionalzeitungen, vor der Präsidentschaftswahl Stellung und machen eine Aussage darüber, welchen Kandidaten oder welche Kandidatin sie den Wähler:innen ans Herz legen. Bei den großen Zeitungen sind die Abteilung Kommentar und die Abteilung Berichterstattung und Nachrichten getrennt. Das ist nicht wie bei uns in Deutschland, wo ich als Korrespondentin auch regelmäßig gefragt werde, zu kommentieren. Viele große Zeitungen haben vor der letzten Präsidentschaftswahl auf das Endorsement verzichtet. Der Aufschrei war so groß, weil es auf der Hand liegt, dass die Milliardäre, denen die Zeitungen gehören, kein Endorsement veröffentlichen wollten, weil sie Angst vor Konsequenzen hatten, wenn sie Kamala Harris unterstützt hätten.

Es gibt seit Jahren einen immer weiter zunehmenden Vertrauensverlust in die Medien in den USA und in sämtliche Institutionen der Demokratie.

- Doris Simon

Ist aufgrund dieser medialen Polarisierung ein Vertrauensverlust der US-Amerikaner:innen in die Medien erkennbar?

Absolut, es gibt seit Jahren einen immer weiter zunehmenden Vertrauensverlust in die Medien in den USA und in sämtliche Institutionen der Demokratie. Das Vertrauen ist seit Jahren systematisch untergraben worden. Der Oberste Gerichtshof wurde zum Beispiel sehr konservativ besetzt. Deshalb glauben die Demokrat:innen nicht, dass er unparteiisch entscheidet. Zudem ist es nicht hilfreich, dass vor allem das Trump-Lager alles, was ihnen nicht gefällt, als „Fake Media“ betitelt. Donald Trump hat auch angekündigt, dass Medien wie die großen Kanäle ABC, CBS, NBC, wenn er Präsident wird, mit Konsequenzen zu rechnen haben. Und ich glaube nicht, dass das leere Drohungen sind.

Welchen Einfluss haben denn soziale Medien auf die politische Meinungsbildung?

Die sozialen Netzwerke haben einen enormen Einfluss auf die Menschen in den USA. Schauen wir zuerst mal auf X. X – ehemals Twitter – gehört jetzt Elon Musk und der ist inzwischen der Gottvater der Verschwörungstheorien. Seitdem er Twitter übernommen hat, gibt es überhaupt keine Kontrollen mehr und es kann alles gepostet werden – Gewalt, Verschwörungstheorien etc. Wenn man die Zahlen seit der Übernahme von Twitter betrachtet, haben dreimal mehr Republikaner und Rechte auf X gepostet als Demokraten und Linke. Der Kanal ist inzwischen zu einem Multiplikator von Verschwörungstheorien geworden. In ländlichen US-Bundesstaaten wie Georgia, Mississippi und Alaska ist Facebook für die älteren Bürger:innen das bedeutendste Medium. Dort gibt es bestimmte Facebook-Gruppen, in denen die größten Lügen und Verschwörungstheorien weiterverbreitet werden, wie beispielsweise zum angeblichen Wahlbetrug. Das sind die Mechanismen in diesen sozialen Netzwerken. Die Leute bekommen nur diese Dinge „reingespült“ und keine Hintergrundinformationen, wie die Erklärung des republikanischen State Secretary’s in Georgia, der aufklärt, dass bestimmte Videos mit künstlicher Intelligenz gefälscht werden. Diese Problematik gilt genauso auch für TikTok.

Das hat selbstverständlich Auswirkungen, wenn die Bürger:innen nur noch mit Verschwörungstheorien, Lügen und parteiischen Aussagen konfrontiert werden.

- Doris Simon

Das hat doch sicherlich auch Einfluss auf die Arbeitsweise traditioneller Medien in den USA?

Es gab eine Veränderung unter Elon Musk bei X, dass reguläre Nachrichten nicht mehr weiter vorne im Feed verbreitet werden. Das hat selbstverständlich Auswirkungen, wenn die Bürger:innen nur noch mit Verschwörungstheorien, Lügen und parteiischen Aussagen konfrontiert werden. Aber ich habe auch mitbekommen, dass bei Lokalzeitungen und bei den großen Zeitungen wie der Washington Post und vor allem der New York Times massive Investitionen in das digitale Geschäft, darunter Podcasts und Social Media, gemacht werden. Man kann inzwischen auch getrennte Abos bei diesen Zeitungen abschließen und Print-Formate entsprechend abwählen. Was mich angeht, ich schreibe manchmal auf Nachfrage Artikel für Online-Formate von Deutschlandradio. Zeitweise habe ich zu Beginn für Instagram auch selbst aufgenommene Reels zu Nachrichten gedreht.

Über welche Themen berichten Sie denn am häufigsten?

Ich berichte vor allem über politische Themen. Manchmal sind das Themen, die ich nicht direkt verfolgen kann, weil ich keinen Zugang habe. Ich habe zwar auch einen „hard pass“ für das Weiße Haus. Das ist ein Pass, den man nach langer Überprüfung durch die Geheimdienste bekommt, damit man bei Veranstaltungen im Weißen Haus teilnehmen darf. Aber viele Veranstaltungen finden nur in einem kleinen Kreis von Journalist:innen überwiegend US-amerikanischer Medien statt. Hochpolitische Veranstaltungen erlebe ich deshalb oft ausschließlich vor dem Fernseher. Für Reportagen und Gespräche mit Bürger:innen, Expert:innen oder Lokalpolitiker:innen reise ich oft im Land herum. Das beschreibt auch meine zwei unterschiedlichen hauptsächlichen Arbeitsweisen. Auf der einen Seite Breaking News vor dem Fernseher verständlich für ein deutsches Publikum vermitteln – in verschiedenen Formaten als Beitrag, Live-Gespräch, Kommentar, in einer Diskussion oder in einem Podcast. Und andererseits Hörer:innen und Nutzer:innen Hintergrundinformationen und Zusammenhänge zu vermitteln. Damit sie, insbesondere wenn sie vielleicht nicht viel Zeit haben und nur eine Schlagzeile in der Zeitung sehen, besser verstehen und einordnen können, warum die Dinge in den USA so laufen, wie sie es gerade tun.

Gab es bei Ihrer Arbeit in den USA besonders prägende oder überraschende Erlebnisse, die Ihnen einen neuen Blick auf die US-amerikanische Medienlandschaft eröffnet haben?

Bevor ich vor zwei Jahren nach Alaska kam, war mir nicht klar, wie wichtig Facebook noch ist. Ich habe gedacht, dass Facebook als Medium nicht mehr aktuell wäre und nur noch zum Posten von Urlaubsfotos genutzt würde. In den USA ist das anders: Hier ist Facebook noch ein sehr wichtiges Medium, aber parallel auch ein Kanal für Verschwörungstheorien.
Zweitens bin ich immer noch erstaunt, dass schätzungsweise die Hälfte der Bürger:innen ihre Informationen überwiegend über soziale Netzwerke bezieht. Das Fernsehen ist hingegen vor allem zu einem Medium für alte und ältere Menschen geworden. Das überrascht mich aber nicht, denn ich muss sagen, dass ich es auch fast nicht nutze. Ich bin sehr begeistert von der Fülle der Podcast-Angebote, die unterschiedlich aufbereitet sind. Das ist wirklich toll. Das ist toller Journalismus.

Frau Simon, wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.

Doris Simon

… arbeitete nach ihrer Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule und einem Studium der Geschichte, Politik und Journalistik als freie Journalistin für Fernsehen und Hörfunk in Bonn und Berlin. Für RIAS Berlin und später Deutschlandradio berichtete sie als Korrespondentin aus Bonn und Brüssel. Sie war Chefin vom Dienst im Deutschlandfunk, arbeitete in der Programmdirektion von Deutschlandradio und war viele Jahre lang Moderatorin und Redakteurin in den „Informationen am Morgen“ und anderen aktuellen Sendungen im Deutschlandfunk.

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Selina Bergmann

Selina Bergmann, 2000 in Siegen geboren, entdeckte früh ihre Faszination für Medien. Alles begann mit einer Kamera, die sie als Kind geschenkt bekam. Seitdem fängt sie kleine und große Momente in Fotos ein. Besonders gerne dokumentiert sie ihre Reisen mit analogen Bildern und gestaltet daraus Fotoalben. Seit ihrem ersten Schulpraktikum in einer Medienagentur jobbt sie während ihres Studiums in den Bereichen Kommunikation, Redaktion und Social Media. Als Serienjunkie schlägt ihr Herz aber vor allem für Filme. Ihr nächstes Ziel? Redakteurin werden!

Eva Umschlag

Eva Umschlag, 2001 in Troisdorf geboren, entdeckte ihre Leidenschaft für Fotografie, seit sie als Kind ihre erste Digitalkamera geschenkt bekam. Diese Kamera begleitet sie bis heute. Ob Hochzeiten, Landschaften, Architektur oder spontane Szenen: Sie fängt alles ein, was ihr vor die Linse kommt. Die Youtuber James Popsys und Roman Fox halfen ihr, ihren Blick zu schärfen und ihre Technik zu verfeinern. Inzwischen setzt sie ihre Fähigkeiten auch beruflich in PR und Social Media ein.